Vorwort aus dem Katalog 2007

Das Träumen

„Falls sie je einer gefragt hätte, und sie, was unwahrscheinlicher war, je eine Antwort gegeben hätte, was sie für das Schönste hielte, womit sie sich am liebsten die Zeit vertrieb, was ihr Traum war, was ihr Wunsch und ihr Ziel in ihrem Leben, dann hätte sie mit verschlafener Begeisterung sagen müssen: Nichts als schlafen'“- Und es ging ihr nicht um den nächtlichen, den Gesundungs- und Erholungsschlaf, so könnte man mit Blick auf die Gemälde von Isabelle Roth diese Sätze aus einer Novelle Ingeborg Bachmann ergänzen, sondern es ging ihr um Schlafen als Lebensform.

Sie pflegte eine schlafwandlerische Existenz, die den Tagtraum in einen ewigen, träumerischen Zustand übergehen ließ, der sie durchs Leben schweben liess- mit geschlossenen Augen und lächelndem Gesicht…. Denn die Luft, die sie umgab, war transparent und weich. Blau oder grün mit roten und gelben Sonnenflecken verbreitete sie angenehme Kühle und trug unsere Freundin von Traum zu Traum. Manchmal handelte dieser Traum von einem riesigen Fisch, auf dem sie die Zeit vergaß, ja, sogar an ihr vorbeiglitt ohne auf den geringsten Widerstand zu stoßen.

So verging die Zeit- oder vielmehr, so verharrte sie in der Zeit, denn es war ein Paradies, ein archaischer, gänzlich sorgloser Zustand, in dem sie lebte, wieder zu finden nur auf einigen frühen Bildern von Matisse wie ‘Der Tanz’ oder ‘Die Musik’. Man sah hier Verwandte von ihr, die sich wie sie von der Erdenschwere der Existenz befreit hatten. Ebenso heiter wie unbeschwert und unschuldig nackt tanzten sie einen Reigen oder lauschten den Tönen der Musik, de sie, am Boden kauernd, einfachen Hirtenflöten und einer kleinen Geige entlockten.

Es waren allerdings entfernte Verwandte, denn sie selbst lebte in einem Matriarchat, in einer Welt der Rundung und der Ruhe, in die keine Aufregung drang, keine Hast und keine Eile, keine Angst und keine Anstrengung – und schon gar kein männliches Wesen. Wie von jeher trugen ihre Freundinnen und sie stets die gleichen schönen Kleider, die ihre kräftigen Körper eng umspannten, ohne sie einzuengen und die zeitlos waren wie die Draperien griechischer Standbilder.

Diese schönen Kleider leuchteten in Rot und Gelb, Grün oder Violett und weiteten sich mancher über ihren Körper hinausgehenden Fa rbflache, zu einer Farbinsel, so dass sie in einer schützenden Aura lebte. Überhaupt waren die Grenzen zwischen ihr und der Außenwelt schwimmend und die Umrisse durchlässig und doppeldeutig. Sollte es hinter der sichtbaren und fassbaren Existenz noch eine andere Welt geben, etwas, das hinter der ersten, vergleichsweise klaren Erscheinung der Dinge nur undeutlich zu erkennen war?

Manchmal sah sie hinter den transparenten Schichten, die sie von dieser anderen Welt trennten, Dinge vorüberschweben, banale Gegenstände, wie Kuchen oder Kaffeetassen, Gläser, eine Kanne. Schließlich schien das gesamte Inventar der Küche, in der sie die meiste Zeit verbrachte, in Bewegung zu geraten und schwerelos durch die Luft zu gleiten und sie selbst in ihrem traumwandlerischen Zustand zu bestärken.

Übrigens war auch ihre Musik nicht die wirkliche, deren Melodie und Rhythmus man kannte und mitsummte. Nein, es waren andere, fremde Klänge, die von weit her zu kommen schienen. Und dennoch spielten sie und ihre Freundinnen voller Hingabe und Ernsthaftigkeit.

So waren die eigentlich unwichtigen Dinge in ihrer Welt die einzigen von Bedeutung und das Wichtigste in ihrer Existenz: Das Spielen, das Träumen, das Schlafen, das Reden.. Manchem mochten diese Zustände skurril anmuten, absurd vielleicht, realitätsfern. Aber, sollte nicht ge rade die Kunst und damit ihr Reich – ein Refugium von der Realität sein ,,eine Erholung für das Gehirn, so etwas wie ein guter Lehnstuhl, in dem man sich von physischen Anstrengungen erholen kann“?

Cathrin Klingsöhr-Leroy