Vorwort aus dem Katalog 2019

Was man zum Glücklichsein braucht

Wer ist denn nun eigentlich diese Frau, die in den Bildern von Isabelle Roth wohnt?

Manchmal kommt sie nur kurz vorbei, stellt ein paar Blumen in die Vase und legt ein paar Früchte dazu, die sie am Morgen im Garten gepflückt hat. Manchmal kocht sie eine Suppe, deckt den Tisch, bleibt aber selbst nicht zum Essen. Manchmal räumt sie die ganze Wohnung um, breitet ein buntes Tuch über das Bett und einen schönen Teppich auf den Boden, rückt die Stühle von hier nach da und von dort wieder zurück.

Manchmal bleibt sie ein wenig länger. Anfang März, wenn die Sonne zum ersten Mal scheint, setzt sie sich auf die Bank vor dem Haus, streichelt die Katze und schaut den Krokussen beim Wachsen zu. Manchmal erzählt sie sich selbst in der Küche einen Witz. Oder sie lässt einen Guglhupf durchs Zimmer fliegen. Nachts, wenn alle anderen schlafen, nimmt sie die Gitarre von der Wand und singt dazu leise, ganz leise ein Lied für die Eule, die vor dem Fenster ihre Schwingen ausbreitet.

Manchmal feiert sie ganz alleine ein Fest. Sie öffnet den Schrank mit den Musikinstrumenten, bläst in die Trompete, lässt das Akkordeon seufzen und ächzen. Sie zieht ihr schönstes Kleid an, steigt auf den Küchenstuhl und tanzt.

Im Sommer aber nimmt sie ihr Zuhause mit nach draußen. Sie holt das alte Holzboot aus dem Schuppen, belädt es mit Möbeln und großen Schüsseln voll Obst, vielleicht stellt sie auch die dicke runde Teekanne dazu. Wenn sie an einem heißen Tag im August die Beine im Wasser baumeln lässt, spielt sie wie nebenbei ein bisschen auf der Gitarre. Wenn es windig wird, hisst sie eine frisch gewaschene Tischdecke als Segel. Und wenn sie Ferien hat, geht sie auf große Fahrt: ab Basel den Rhein hinunter.

Isabelle Roth kennt die Frau gut, die in ihren Bildern wohnt und es sich dort schön macht. Sie weiß, dass sie gerne alleine ist, aber sich auch über netten Besuch freut. Manchmal zeichnet sie ihr einen Mann ins Bild, aber den muss sie meistens wieder übermalen, damit niemand ihn sieht. Warum das so ist, weiß Isabelle Roth nicht.

Die Malerin leiht der Frau, die in ihren Bildern wohnt, Hand, Pinsel und Zeichenstift. Sie sucht die Farben ihrer Kleider aus. Sie kennt ihre Vorliebe für ein helles und zugleich kräftiges Türkisgrün und für ein lichtes Meeresblau. Wieder und wieder zeichnet sie ihre Figur, den sanften Schwung der Hüften, die kleinen Brüste und die langen Beine. Die meist etwas zerzauste Frisur, das verträumte Gesicht mit den dunklen Augen. Ihr schwarzer Strich ist dabei sicher und vorsichtig zugleich, denn sie möchte ihr nicht wehtun.

Isabelle Roth hilft der Frau in ihren Bildern beim Möbelrücken und beim Tischdecken. Sie überstreicht mit feinen milchigen Farbschichten, was noch nicht den richtigen Platz gefunden hat. Sie verbirgt alles, was die wundersame Ordnung stören würde. Auch ungebetene Gäste und dunkle Schatten, die sich einschleichen könnten. Und ja, auch den geheimnisvollen Geliebten der Frau, die in ihren Bildern wohnt.

Es wäre viel zu kurz gegriffen, die Frau einfach als Alter Ego der Künstlerin zu bezeichnen. Vielmehr verkörpert sie ein Lebenskonzept, eine Haltung. Sie ist wie eine gute Freundin, die niemals zickig ist. Sie ist eine Frau, die ohne zu fragen ihr eigenes Leben lebt und doch immer an ihre Lieben denkt. Sie ist ordentlich und wild zugleich. Sie backt köstliche Kuchen und hat verrückte Ideen. In ihrem Garten wachsen Blumen und Früchte, die es eigentlich gar nicht gibt. Sie kann mit den Tieren sprechen. Sie ist gerne zu Hause und sie fährt gerne Boot. Sie mag es, wenn der Wind an ihren Haaren zurrt und sie trägt zum Putzen ein Abendkleid, wenn ihr danach ist. Sie versteckt ihren Geliebten im Schrank, obwohl sie gar keinen Ehemann hat. Einfach so.

Man könnte viel lernen von der Frau, die in diesen Bildern wohnt. Sie macht es sich schön. Sie hat wenig. Und doch hat sie alles, was man zum Glücklichsein braucht.

Katja Sebald