Vorwort aus dem Katalog 2014

Das Glück liegt im Moment

Isabelle Roths Bilder sehen alle aus, als ob von ihnen ein kleines Summen ausginge. Ganz leise, so dass man schon näher treten muss, aber doch unüberhörbar. Es summt beim Rudern, beim Warten und beim hin und her rollen des kleinen Stubenwagens; summt sogar beim Unterwasserausflug mit dem großen Traumfisch.

Manchmal bricht das Summen freilich ab. Dann, wenn die Gedanken der sitzend oder stehend Sinnenden überhand nehmen. Wenn sie einfach wegführen: Weg vom Küchentisch, an dem es sich so schön lümmeln lässt, weg vom gemütlichen Sofa, weg sogar vom See während man stehend paddelt.

Eben erst war die Figur vielleicht ins Zimmer getreten, im Begriff, etwas zu tun. Da hält sie inne, bleibt einfach stehen. Oder sitzt und wartet und schweift plötzlich ab. Verliert sich in Gedanken. Erinnert sich an etwas, was war – kürzlich erst oder vor langer Zeit – kann auch sein, sie freut sich auf etwas, das kommen wird.

Was das ist? Nichts Spektakuläres wahrscheinlich. Aber genussvoll. Das Treffen mit einer Freundin, einem Freund. Oder wie es war oder sein könnte, einen Ausflug zu machen oder gemeinsam Musik oder zu einem Essen einzuladen…

Gut, – nicht alle Bilder Roths summen. Manchmal bläst da eine beherzt ins Horn oder spielt lächelnd Gitarre. Dann ist die Musik, die sie verströmen, lauter, vernehmlicher. Immer aber ist sie wie ein kleines Lied, das die freundlich-alltägliche Umgebung der geschilderten Räume und Situationen – eingetaucht in einen hellen Farbakkord zwischen Weiß, Türkis, Hellblau und Rosarot – zum Klingen bringt.

Diese heitere Selbstverständlichkeit hat etwas ungemein Einnehmendes – und Frappierendes. Denn so komplex der Entstehungsprozess ihrer Ölgemälde ist, so unmittelbar ist ihre Wirkung. Dass Roths Gemälde uns so nahe kommen, könnte auch an den Maßen der Bilder liegen. Die darauf dargestellten Figuren und Gegenstände sind in der Regel annähernd lebensgroß – ein Grund, warum auf kleinen Bildern vor allem Stillleben zu sehen sind. Die große Figur – im allgemeinen ist es nur eine, meist hoch gewachsene Frau mit leicht androgynen Gesichtszügen – wird so zu unserem Gegenüber oder zu einer Identifikationsfigur, in die es sich leicht einfühlen lässt. Denn genau solche Momente der Selbstvergessenheit und Träumerei haben wir ja alle schon erlebt. Es sind nicht die Erlebnisse, über die man groß redet, aber doch die, die einen Alltag als schön erleben lassen und in der Aneinanderreihung zufrieden machen. Keine großen Glücksgefühle, eher kleine, freilich nicht zu unterschätzende Glücksmomente.

Seit einiger Zeit ist es vor allem eine Frau im weißen Kleid, die Isabelle Roths Bilder bewohnt. Ein schlichtes, aber schönes weißes Kleid, – so unauffällig, dass es jede tragen und doch so archetypisch, dass es auch Schneewittchen oder die Goldmarie bekleiden könnte. Allerdings geht es Roth nicht darum, eine schöne Frau darzustellen. Mit ihren rundlichen Hüften und kleinen Brüsten bedient sie kein Schönheitsideal. Ebenso wenig können die wirren, schnell gesetzten Strichlagen, die formelhaft wie eine Chiffre die Frisur bezeichnen, als schmückend gelten. Oft steht die Frau auch eher unbeholfen herum oder sitzt mit irgendwie zu langen Beinen auf irgendwie zu kleinen Stühlen.

Auf glatte Schönheit legt es die Malerin also kaum an. Denn auch die Oberfläche ihrer Gemälde ist nicht aus einem Guss geschaffen, sondern das Resultat zahlreicher übereinander lagernder Farbschichten, Formsetzungen und Übermalungen. Roth bedeckt das Weiß der Leinwand rasch mit verschiedenfarbigen Flächen, setzt dann Ziffern oder einfache Lineaturen als Malimpulse, auf die sie antwortet. Mit dem Spachtel baut sie Farbflächen auf, akzentuiert sie grafisch durch Öl- und Pastellkreiden, fasst ihre Umrisse mit Kohle ein. Ohne vorgefasste Idee entwickelt sich so Strich für Strich und Fläche für Fläche das Bild. Roth gibt dem, was entsteht, Raum zu wachsen. Genauso rigoros übermalt sie aber auch, was ihr zu voll, zu beengend oder zu unruhig erscheint. Dabei schließt die fortwährende Prüfung des Entstandenen sogar bereits vollendete und ausgestellte Gemälde mit ein und unterzieht sie erneut dem Prozess des Reflektierens und Änderns. Auffällige Rautenmuster, Stühle, Tische, selbst Figuren werden so ein ums andere mal übermalt, doch bleiben sie häufig im Bildraum als Schemen erkennbar.

So tritt neben die Gitarrenspielerin im Zentrum des Gemäldes „In der Wiese“ außer verschiedenen, durchscheinenden Möbeln der Schatten einer Querflöte spielenden Frau. Hat die Gitarristin zuvor Flöte gespielt? Oder ist es der Gedanke an ein Duett – als Idee? Oder eine Erinnerung an Erlebtes, das nachschwingt und irgendwie „noch im Raum steht“? Ganz ähnliche Fragen wirft das Bild der Ruderin auf, hinter deren Rücken sich eine hockende, männliche „Schatten“-Figur entspannt aufstützt. Und die Umrisse von Tisch und Stühlen zu Seiten der Trompete Blasenden – sind sie das Nachbild eines geselligen Miteinanders oder doch nur eine Fantasie im Kopf der Musizierenden?

Es ist als ob Isabelle Roth zu jeder Szene eine weitere miterzählt und uns zugleich darauf aufmerksam macht, dass wir ja nur einen kleinen Ausschnitt der Geschichte kennen. Schon möglich, dass Roth – wie sie sagt – übermalt, was ihr zu viel erscheint. Damit eröffnet sie der Malerei Wirkungsraum. Zugleich aber verleihen die verbleibenden Schemen dem Bild eine leise Unruhe, als sei der Bildraum wie von einem Flüstern erfüllt. Zur Bildillusion tritt die Vorstellung von Zeit, – ein transitorisches Moment, das auf Veränderung pocht und nichts Starres oder Endgültiges akzeptieren will. Diese leise Lebendigkeit überträgt sich auch auf die gezeigten Figuren. Selbst wenn sie sitzen, ist ihnen die Möglichkeit von Bewegung eingeschrieben.

Stimmig fügt sich dazu die malerische Ausgestaltung der Figuren: Verstörender Weise lassen sie den Bildhintergrund durchscheinen. Dadurch, dass Roth ihnen ein Inkarnat als umschließende Hülle verweigert, erscheinen die darunterliegenden Flächenmuster und Farbstreifen anstelle hautfarbiger Partien. Das irritiert durch den häufig anorganischen Farbauftrag, verschränkt die Figur aber zugleich eng mit dem Malgrund. Selbst durchtränkt vom Farb-Raum, nimmt sie diesen ebenso auf, wie sie ihn bewohnt. So sehr Isabelle Roth mit der Vertrautheit ihrer geschilderten Szenen zu verführen weiß, – letztlich beharrt sie auf die Wirkungsweise des Mal-Prozesses und zeigt unmissverständlich, dass es ihr nicht um Bildillusion, sondern um Malerei geht. Um eine Wirkung parallel zur Natur, die den Akt der Bildschöpfung und die dazu nötigen Handgriffe und Materialien unverstellt vor Augen führt.

Zugleich erreicht die Verschränkung von Figur und Bildgrund, dass diesen sinnenden und musizierenden Frauen nichts Unversehrtes, Homogenes oder gar Properes eignet. Vielmehr offerieren sie Fragilität, Ecken und Kanten und gewinnen zugleich an Tiefe, die erfahrbar macht, das – buchstäblich wie biografisch – etwas hinter ihnen liegt. Eben deswegen besitzen ihre Handlungen, so kindlich verspielt und traumwandlerisch versponnen sie bisweilen wirken mögen, nichts Naives.

Die Gemälde Isabelle Roths atmen eine verblüffende Selbstverständlichkeit. Gerade deshalb verführen sie zur ausgiebigen Betrachtung. Bleiernes und Schweres sucht man in ihnen vergebens. Ein sanftes Grün und viel Weiß, ein zartes Rosa, dazu Blau in allen Variationen, belebt durch ein leuchtendes Rot, einem Tupfer Gelb, lassen eine heitere Grundstimmung entstehen, die alles Gezeigte licht durchzieht. Roth gibt ihren Figuren Raum, sich einzurichten und die Weite, sich zu entfalten. Mit sich im Einklang, sind sie aufgehoben in einer Balance aus Zufriedenheit und der Bereitschaft zur Veränderung. Selbstvergessen verweilen sie im Jetzt. Im nächsten Augenblick mag sich alles ändern, – für die Figur ebenso wie für uns Betrachter. Doch jetzt gerade stimmt alles zusammen. Auch wir Schauenden – verlieren uns in Gedanken. Es scheint, als hätten sie und wir alle Zeit der Welt – zumindest für diesen einen Moment.

Helga Gutbrod